Immer häufiger erlebe ich in Coachings und meinen Workshops Menschen, die unter dem Diktat "alles perfekt machen zu müssen" in die Knie gehen. Denn der übertriebene Drang nach Perfektion hat heute nahezu alle Lebensbereiche erfasst: Beruf, Familie und Partnerschaft, Hobbys, Fitness und Aussehen. In diesem Blogartikel erfahren Sie, was die Ursachen für Perfektionismus sind; wie Sie herausfinden, ob Sie zu Perfektionismus neigen; und wie Sie den Perfektionismus überwinden können.
Ursachen von Perfektionismus und Versagensangst: Hoher Anspruch an uns selbst
Auf uns lastet ein unablässiger Optimierungsdruck. Einerseits machen wir uns diesen Druck selbst, indem wir in allen Lebensbereichen hohe Erwartungen an uns haben: Wir möchten die perfekte Familie und Partnerschaft haben, außergewöhnliche Hobbys vorzeigen können, einen durchtrainierten Körper haben und gut aussehen.
Fangen wir mit dem Privatleben an.
- Die Hobbys, die uns eigentlich entspannen sollen, machen uns Druck:
- Fitness-Tracker haben uns fest im Griff, indem sie permanent Feedback darüber geben, wie konsequent wir unsere Trainingspläne umsetzen.
- Auf Blogs und Sozialen Medien sehen wir jede Menge Menschen, die scheinbar mühelos die tollsten Plätzchen backen, Regale zimmern und ganze Garderoben schneidern. Viel schöner und besser, als wir es hinbekommen. Und dabei makellos aussehen.
- Die Sozialen Medien üben einen enormen Druck auf uns. Wir werden ständig mit einer Flut an Bildern von perfekt aussehenden Menschen mit Familien in perfekt wirkenden Szenarien konfrontiert. Ganz automatisch passiert es, dass wir uns vergleichen. Wir wollen mithalten.
- Nicht mal beim Netflix-Abend lässt der Druck nach: Die Bilder von schönen Menschen sind einfach zu verlockend. Klar wissen wir, dass sie retuschiert sind. Aber ein bisschen mehr Make-up, eine stylischere Bluse, mehr Sport - hach, das sollten wir doch hinbekommen!
Dazu kommen berufliche Erwartungen:
- Im Beruf soll man Höchstleistungen erbringen, hohe Gewissenhaftigkeit zeigen, Karriere machen. Wir wollen erfolgreich sein, Geld verdienen, und diesen Erfolg auch nach außen zeigen. Locker lassen? Tempo rausnehmen? Fehler machen, Misserfolge eingestehen? Lieber nicht. Das könnte als Schwäche ausgelegt werden, als Versagen. Als Scheitern.
Das alles ist Dauer-Stress: Wenn wir die Ideale nicht erfüllen, nicht perfekt rüberkommen, droht Ablehnung, im echten Leben oder als Shitstorm auf Social Media. Das wollen wir nicht. Also müssen wir uns noch mehr anstrengen!
Sie merken, worauf ich hinaus will: Wir stehen unablässig unter dem Druck, uns beweisen zu müssen. Druck von uns selbst, und Druck von außen. Das Ergebnis: Wir schrauben unsere Ansprüche an uns selbst immer weiter in die Höhe. Für unser perfektionistisches Streben sind wir nie gut genug. Es sind verflixt hohe Standards, die wir erreichen wollen!
Der Soziologe Heinz Bude spricht hier von der "Generation Null Fehler": Wir glauben, keine Fehler machen zu dürfen. Wir müssen perfekt sein, um mithalten zu können.
Ob das anstrengend ist? Oh ja. Immens anstrengend! Denn: Ehrgeizig zu sein und alles perfekt machen zu wollen, das ist Kräfte raubend!
Risiken von übermäßigem Perfektionismus
Einen ausgeprägten Hang zum Perfektionismus sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen: Perfektionismus ist ein direkter Weg ins Burnout! Psychiater bestätigen, dass die meisten Burnout-Patientinnen und Patienten perfektionistisch veranlagt sind. Sie vermuten, dass man über kurz oder lang eher von einer "perfektionistischen Persönlichkeitsstörung" sprechen wird. Eine weitere Vermutung ist, dass Perfektionismus auch Angststörungen und Depressionen begünstigt.
Alle, die von Perfektionismus betroffen sind, haben eines gemeinsam: Ein niedriges Selbstwertgefühl, welches jedoch von außen selten gesehen wird, jedoch innerlich gespürt. Sie haben Angst davor, einen Fehler zu machen und deshalb als Person abgelehnt zu werden, beschämt zu werden. Diese Angst führt dazu, dass sie innerlich eng werden. Und sich noch mehr anstrengen, um nur ja alles richtig zu machen. Ein Teufelskreis.
Aber: Nicht jedes Streben nach Perfektion ist schlecht!
Die gute Seite des Perfektionismus: Ohne das Streben nach hoher Qualität wäre die Welt ärmer. Und schlechter dran! Mir fallen auf Anhieb viele Berufe ein, in denen ich mir wünsche, dass Perfektionisten am Werk sind. Chirurginnen, zum Beispiel. Das Wartungspersonal am Flughafen, das dafür sorgt, dass Flugzeuge und Flugverkehr reibungslos funktionieren. Handwerker, die den Wasserschaden reparieren. Und viele mehr.
Und über Spitzenleistungen in Sport, Musik und Kunst sind wir doch begeistert! Ohne das Streben nach Vervollkommnung wären diese Leistungen nicht möglich.
Der Drang nach exzellenten Leistungen ist also nicht per se schädlich. Menschen mit der gesunden Variante des Persönlichkeitsmerkmals "Perfektionismus" streben danach, ihre Sache gut zu machen. Sie verfolgen Ziele gewissenhaft und freuen sich über positive Ergebnisse. Gleichzeitig können sie sich auch zugestehen, dass sie auf dem Weg zum Ziel nicht alles richtig machen. Dass es Rückschläge gibt.
Diese Menschen sind zwar Perfektionisten, weil sie wirklich gut sein wollen und etwas erreichen wollen. Sie fürchten sich aber nicht davor, Fehler zu machen, und sie haben keine Angst vor dem Scheitern. Vor allem aber neigen sie nicht dazu, gleich ihre gesamte Persönlichkeit infrage zu stellen, wenn etwas nicht so klappt wie geplant.
Ein kleiner Perfektionismus Test:
Sind Sie ein Perfektionist?
Neigen Sie zu Perfektionismus? Wenn ja: Haben Sie Ihren Perfektionismus im Griff? Oder haben Sie eher das Gefühl, dass es umgekehrt ist? Dass SIE in der Perfektionismus-Falle zu sitzen?
Diese 5 Fragen helfen Ihnen dabei, sich selbst einzuschätzen. Überlegen Sie: Welche dieser Aussagen würden Sie unterschreiben?
- Ich muss immer alles richtig machen. Wenn ich etwas nicht perfekt mache, dann bin ich eine Versagerin/ein Versager!
- Wenn mich jemand wegen eines Fehlers kritisiert, befürchte ich abgelehnt zu werden.
- Ich kontrolliere häufig doppelt und dreifach, ob ich etwas richtig gemacht habe.
- Abends habe ich immer das Gefühl, dass ich tagsüber zu wenig gemacht habe. Dann kann ich mich nicht entspannen.
- Wenn ich eine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen habe, kann ich mich fast nie darüber freuen, sondern gehe gleich wieder zur Tagesordnung über. Es war doch selbstverständlich!
Diese Aussagen stehen alle für einen ungesunden, negativen Perfektionismus. Je mehr davon auf Sie zutreffen, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass Sie in der Perfektionismus-Falle sitzen.
Leider reicht es nicht, sich dessen bewusst zu sein. Einer Perfektionistin oder einem Perfektionisten ist mit Sprüchen wie „Dann lass das doch mal liegen!", "Begnüge dich mit einmal Überarbeiten", "Delegiere endlich!“ nicht geholfen. Wenn die betroffene Person das könnte, hätte sie es schon lange getan!
PerfektionistInnen können nicht einfach locker lassen oder weniger perfekt arbeiten oder delegieren. Der innere Anspruch zwingt sie dazu, perfekte Ergebnisse zu liefern. Denn an das Ergebnis ist der eigene Selbstwert gebunden.
Perfektionisten beiderlei Geschlechts sind daher extrem empfindlich gegenüber Kritik. Kritisiert werden bedeutet für sie:
„Du hast einen Fehler gemacht, und das beweist: Du bist einfach nichts wert.
Du hast die Ansprüche nicht erfüllt und bist und bleibst eine Versagerin / ein Versager!“
Perfektionismus ablegen: Raus aus dem perfektionistischen Denken!
Was also tun, um aus diesem Perfektionismus-Falle zu entkommen? Hier sind 3 Tipps für Sie.
Tipp 1: Der Satz „Das ist gut genug!“
Überlegen Sie bitte: Wie fühlt sich der Satz "Das ist gut genug" für Sie an? Kommt er in Ihrer Gedankenwelt vor?
Ja? Das ist gut und zeigt, dass der Perfektionismus Sie nicht beherrscht.
Nein? Dann probieren Sie einmal folgendes: Lehnen Sie sich zurück und schließen Sie einen Moment die Augen. Und dann sagen Sie sich folgenden Satz:
- Ich muss nicht immer perfekt sein. Mein Bestes - jetzt- ist gut genug!
Hören Sie in sich hinein: Was rührt sich dabei in Ihrem Inneren? Fühlen Sie Erleichterung? Oder regt sich Widerstand in Ihnen?
Beobachten Sie, ob Sie folgende oder ähnliche Gedanken bei sich bemerken:
- Was denken die anderen, wenn ich nicht perfekt bin?
- Es wäre beschämend, wenn ich mich unperfekt zeige!
Wenn das der Fall ist, stellen Sie sich bitte die nächsten Fragen:
- Was würde wirklich passieren, wenn ich nicht perfekt bin?
- Was befürchte ich?
Notieren Sie Ihre ersten spontanen Antworten. Beobachten Sie, ob Sie in folgende oder ähnliche Richtung gehen:
- Aber dann denken alle, dass ich versagt habe.
- Aber dann denken alle, dass ich nie etwas hinbekomme.
- Aber dann denken alle, dass ich nur zu faul bin.
Wenn ja, unterziehen Sie diese Gedanken einem Realitäts-Check; siehe Tipp 2. Die Macht dieser selbst sabotierenden Gedanken liegt nämlich darin, dass wir sie nie überprüfen. Und deshalb überprüfen wir sie jetzt!
Tipp 2: Der Realitäts-Check - für einen entspannteren Umgang mit Perfektionismus!
Überprüfen Sie Ihre Befürchtungen auf die Realität und stellen Sie sich folgende Fragen:
- Ist das wirklich wahr?
- Welche Beweise gibt es dafür, dass meine Befürchtung eintreten wird?"
- Was würde denn passieren, wenn alle genau das über mich denken würden, was ich befürchte?“
Stellen Sie sich bitte auch die Worst-Case Fragen:
- Könnte ich es überleben, wenn das passiert?
- Wie realistisch ist es, dass das passiert?
Beantworten Sie diese Fragen ehrlich und suchen Sie eventuell wieder nach Beweisen, um Ihre Antworten zu belegen.
Und überlegen Sie, was denn passieren würde, wenn Sie Ihre Angst vor dem Versagen ablegen und stattdessen folgende Sätze als Wahrheit akzeptieren:
„Ich muss nicht immer perfekt sein. Ich darf üben, ich darf ausprobieren und Erfahrungen sammeln.“
Tipp 3: Den Perfektionismus überwinden mit einer kinesiologischen Übung
Sie verspüren Erleichterung oder ein Weit-Werden, wenn Sie sich den letzten Satz aus Tipp 2 sagen? Ja? Dann empfehle ich Ihnen eine kinesiologische Übung, mit der sie das alte, sabotierende Perfektionismus-Muster überschreiben! Und das geht so:
- Aktivieren Sie Ihre Lebensfreude, indem Sie sich leicht und zart auf den oberen Teil des Brustbeins klopfen. Dahinter ist der Sitz unserer Thymus-Drüse, und die wird durch das zarte Klopfen stimuliert.
- Während Sie das tun, wiederholen Sie Ihre neue Wahrheit: „Ich muss nicht immer perfekt sein. Ich darf üben, ich darf ausprobieren und Erfahrungen sammeln.“
Sie werden sehen: Es funktioniert. Bleiben Sie dran - damit Sie endlich rauskommen aus der Perfektionismus-Falle. Sie sind gut genug!
Viel Spaß beim Ausprobieren!
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