TRÜFFELKISTE

Wege aus der Perfektionsfalle

Carmen Reuter - Perfektionsskala

Halten Sie sich für eine Perfektionistin? Finden Sie das Streben nach Perfektion nachahmenswert oder haben Sie eher das Gefühl, in der Perfektionismus-Falle zu sitzen?

Immer häufiger erlebe ich in Coachings und meinen Workshops Menschen, die unter dem Diktat "alles perfekt machen zu müssen" in die Knie gehen. Denn der Drang nach Perfektion hat heute nahezu alle Lebensbereiche erfasst: Höchstleistung im Beruf, perfekte Partnerschaft und Familie, außergewöhnliche Hobbys und ein durchtrainierter Körper. 

Perfektionismus wird zur Alltagskultur

Anstrengend? Immens! Ein unablässiger Optimierungsdruck lastet auf uns und wird durch Sichtbarkeit in den sozialen Medien (mitsamt den drohenden Shit-Storms), Fitness-Tracker und die Flut der (retuschierten) Bilder aus Filmen und Werbung permanent gesteigert. Der Soziologe Heinz Bude spricht hier von der "Generation Null Fehler". Doch alles perfekt machen wollen und ehrgeizig sein ist anstrengend und Kräfte raubend.

Direkter Weg in den Burn-Out

Psychiater bestätigen, dass die meisten Burn-Out-Patienten perfektionistisch veranlagt seien und vermuten, dass man über kurz oder lang eher von einer perfektionistischen Persönlichkeitsstörung sprechen wird – und dass Perfektionismus auch Angststörungen und Depressionen begünstigt. Allen Betroffenen gemeinsam ist: Sie haben Angst, einen Fehler zu machen und deshalb als Person abgelehnt zu werden. Es ist die Angst davor, beschämt zu werden, die sie innerlich eng werden lässt und zu noch mehr Anstrengung führt, um nur keine Fehler zu machen.

Die gute Seite

Gleichzeitig wäre die Welt ärmer ohne das Streben nach Qualität. Mir fallen auf Anhieb viele Berufe ein, in denen ich mir wünsche, dass Perfektionisten am Werk sind: Chirurginnen, Wartungspersonal am Flughafen, Handwerker und viele mehr. Und über Spitzenleistungen in Sport, Musik und Kunst sind wir doch begeistert!

Der Drang nach exzellenten Leistungen ist also nicht per se schädlich. Menschen mit der gesunden Variante dieses Persönlichkeitsmerkmals streben danach, ihre Sache gut zu machen. Sie verfolgen Ziele gewissenhaft, freuen sich über positive Ergebnisse und können sich gleichzeitig auch zugestehen, auf dem Weg dahin nicht alles richtig zu machen. Es sind Menschen, die zwar wirklich gut sein wollen, die sich jedoch nicht davor fürchten, auch Fehler zu machen, vielleicht sogar zu versagen. Und die nicht dazu neigen, gleich ihre gesamte Persönlichkeit infrage zu stellen.

Und bei Ihnen? Welche dieser Aussagen würden Sie unterschreiben?

  • Ich muss immer alles richtig machen. Wenn ich etwas nicht perfekt mache, dann bin ich ein(e) VersagerIn!
  • Wenn mich jemand wegen eines Fehlers kritisiert, befürchte ich abgelehnt zu werden.
  • Ich kontrolliere häufig doppelt und dreifach, ob ich etwas richtig gemacht habe.
  • Abends habe ich immer das Gefühl, dass ich tagsüber zu wenig gemacht habe. Dann kann ich mich nicht entspannen.
  • Wenn ich eine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen habe, kann ich mich fast nie darüber freuen.

Diese Aussagen stehen alle für einen ungesunden Perfektionismus. Leider reicht es nicht, sich dessen bewusst zu sein. Einer Perfektionistin ist mit den Sprüchen: „Dann lass das doch mal liegen/ Begnüge dich mit einmal Überarbeiten/ Delegiere endlich!“ nicht geholfen. Wenn sie das könnte, hätte sie es schon lange getan! Der innere Anspruch zwingt zur perfekten Erledigung. Denn an das Ergebnis ist der eigene Selbstwert gebunden. Daher sind Perfektionisten beiden Geschlechts extrem empfindlich gegenüber Kritik. Kritisiert werden bedeutet gleichsam: „Du hast einen Fehler gemacht und das beweist: Du bist einfach nichts wert. Du hast die Ansprüche nicht erfüllt und bist und bleibst VersagerIn!“

Was also tun?

Was ist das Gegenteil vom Perfektionismus? Das Einfache „Das ist gut genug!“

Wie fühlt sich dieser Satz für Sie an? Kommt er in Ihrer Gedankenwelt vor? Falls nicht, probieren Sie einmal, sich den nächsten Satz zu sagen. Lehnen Sie sich dazu zurück und schließen Sie einen Moment die Augen:

„Ich muss nicht immer perfekt sein.“

Was rührt sich dabei in Ihrem Inneren? Fühlen Sie Erleichterung oder regt sich Widerstand in Ihnen? Sollten Sie jetzt eher eine Wahrnehmung in Richtung: „Was denken die anderen…Das wäre beschämend…“ oder ähnliches bemerken, dann fragen Sie sich: „Was würde dann wirklich passieren? Was befürchte ich?“ Notieren Sie Ihre erste spontane Antwort.

Sollte es etwas sein wie: „Aber dann denken alle, dass ich versagt habe. Dass ich nie etwas hinbekomme. Dass ich nur zu faul bin…“ dann unterziehen Sie diese Gedanken einem Realitäts-Check. Die Macht dieser selbst sabotierenden Gedanken liegt darin, dass wir sie nie überprüfen. Also:

„Ist das wirklich wahr? Welche Beweise gibt es dafür?“

Stellen Sie sich weitere Fragen: „Was würde denn passieren, wenn alle genau das über Sie denken würden, was Sie befürchten?“

Stellen Sie sich hier die Worst-Case Fragen:

  • Könnte ich es überleben, wenn das passiert?
  • Wie realistisch ist es, dass es passiert?

Beantworten Sie diese Fragen ehrlich und suchen Sie eventuell wieder nach Beweisen. Überlegen Sie, was denn passieren würde, wenn Sie stattdessen diesen Satz als Wahrheit akzeptieren: „ Ich muss nicht immer perfekt sein. Ich darf üben, ich darf ausprobieren und Erfahrungen sammeln…“ Wenn Sie dabei Erleichterung oder ein Weitwerden verspüren, empfehle ich Ihnen diese kinesiologische Übung:

Überschreiben Sie das alte sabotierende Perfektionismus-Muster. Dazu aktivieren Sie Ihre Lebensfreude, indem sie sich leicht und zart auf den oberen Teil des Brustbeins klopfen. Dahinter ist der Sitz unserer Thymus-Drüse, die durch das zarte Klopfen stimuliert wird. Während Sie das tun wiederholen Sie Ihre neue Wahrheit: „ Ich muss nicht immer perfekt sein. Ich darf üben, ich darf ausprobieren und Erfahrungen sammeln…“

Viel Spaß beim Ausprobieren!

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Authors

Carmen Reuter

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